Wenn man sich mit dem Thema der anhaltenden Fruchtbarkeitsunterbrechung und deren Auswirkungen beim Hund beschäftigt, sollten zuerst einigen Begriffe geklärt werden. Bei der
Kastration handelt es sich um die Entfernung von Hoden oder Eierstöcken, im Gegensatz zur
Sterilisation, bei der nur die Samenleiter oder Eileiter entfernt oder unpassierbar gemacht werden.
Der Sexualzyklus der Hündin wird in 4 Phasen eingeteilt.
Die erste Phase der Läufigkeit wird als Proöstrus (Vorbrunst) bezeichnet.
Sie dauert im Durchschnitt 10 Tage mit einer Variationsbreite von 7 bis 13 Tagen. In dieser Phase schwillt die Vulva (Scham) der Hündin an, sie beginnt individuell stark variierende Mengen von hellem Blut abzusetzen und versucht, Rüden durch das Absetzen von Urinspuren anzulocken.
Die darauffolgende Phase wird als Östrus (Brunst) bezeichnet.
Die Scham ist jetzt maximal angeschwollen, der blutige Ausfluss wird heller bis fleischwasserfarben und die Hündin beginnt sich zu stellen. Dies bedeutet, dass die Hündin dem Rüden das Hinterteil präsentiert, ihn aufsteigen lässt und die Rute zur Seite legt. Krault man die Hündin im Bereich der Schwanzwurzel, legt sie ebenfalls die Rute beiseite. Diese Phase dauert etwa 6 Tage (Variationsbreite 2 bis 12 Tage). Nur in dieser Phase ist die Hündin empfängnisbereit.
Darauffolgend kommt die Hündin in die Rückbildungsphase (Metöstrus).
Sie umfasst ca. 9-12 Wochen. Die Blutung endet, oft mit etwas gelblichem übelriechenden Ausfluss, die Vulva schwillt ab, die Hündin bildet in jedem Falle Gelbkörperhormon und Prolaktin, ganz gleich ob sie trägt oder nicht. Dies führt auch zur sogenannten „Scheinschwangerschaft“, die ein sinnvolles Überbleibsel des wölfischen Erbes darstellt um im Falle des Ausfalles der Alpha-Wölfin als Ernährerin der Welpen, diese Welpen säugen zu können. Aus diesem Grunde ist es auch nicht möglich, durch Bestimmung dieser Hormone eine Schwangerschaft festzustellen.
Als letze Phase folgt die sexuelle Ruhephase, Anöstrus genannt.
Der beschriebene Sexualzyklus findet bei der Hündin 1-3x im Jahr statt, wobei kleinere Rassen in der Regel kürzere Abstände aufweisen als größere Rassen.
Außer für die Fortpflanzung sind die Sexualhormone auch für die Ausprägung der typischen Geschlechtsmerkmale unserer Hunde verantwortlich, so für Körperbau, Wachstum, Psyche, evtl. Temperament, geschlechtsspezifische Verhaltensweisen etc..
Für die Kastration kann es medizinisch notwendige Gründe geben, ebenso wird eine Vielzahl anderer Begründungen für die Durchführung der „Notwendigkeit“ einer Kastration angegeben.
Kastrationsgründe beim Rüden sind
Hodentumore, Hodenentzündungen, Prostataerkrankungen, hormonabhängige Tumoren anderer Organe, Bauchhoden (Kryptorchismus), aber auch unerwünschte Verhaltensweisen wie Streunen, Aggressivität gegen Hunde, territoriale Aggressivität, Harnmarkieren, Aufreiten, Angstbeißen, Ängstlichkeit u.ä..
Bei der Hündin steht die bleibende Unterbrechung der Fruchtbarkeit im Mittelpunkt.
Teilweise wird die Läufigkeit als unhygienisch oder abstoßend empfunden.
Kastrationsindikationen aber sind vor allem:
Eierstocktumore, Gebärmuttererkrankungen (Tumore, Pyometra, chronische Veränderungen ect.), Verhinderung von Brustkrebs und gutartigen Mammatumoren.
Ebenso werden Hündinnen zur Verhinderung der Scheinschwangerschaft kastriert, bei Zuckerkrankheit, da die Gestagene als diabetogen („zuckerfördernd“) beschrieben werden sowie bei Verhaltensauffälligkeiten: Angst, Aggression u.ä..
Nebenher habe ich als äußerst ungewöhnliche Begründungen für eine Kastration gefunden:
„Bellen, Ungehorsam, Stubenunreinheit, Depression und Trägheit“.
Da das Verhalten unserer Hunde nicht nur durch die einwirkende Hormonaktivität beeinflusst wird, sondern auch durch Erziehung, positive oder negative Lernprozesse, Sozialisation, angeborene Charaktereigenschaften u. v. m., führt die Kastration nur in einem beschränkten Rahmen zur Abänderung von unerwünschten Verhaltensweisen!
Bei Rüden können Verhaltensweisen bis maximal 70% beeinflusst werden.
Das Streunen wird durch die Kastration in den meisten Fällen beseitigt, Aggressionen gegen Rüden zu etwa 50%, ebenso wie das Markieren. Diese Erfolge stellen sich bis ca. 2 Jahre nach Kastration ein. Die territoriale Aggression und das Angstbeißen werden in der Regel nicht beeinflusst.
Die Aggressionen der Hündin werden in der Regel eher verstärkt als gebessert, da der besänftigende Einfluss der Östrogene fehlt, die Angst nimmt ebenfalls nicht ab.
Ob bei bestehender Zuckerkrankheit die Kastration den Zuckerspiegel nachhaltig positiv beeinflusst, bleibt umstritten, eine Gewichtsreduktion ist hier in der Regel wirksamer. Diese wird in der Regel durch eine Kastration allerdings noch schwieriger, da sich die Stoffwechselprozesse des Hundes verlangsamt. Nicht selten zeigt die kastrierte Hündein einen deutlich erhöhten Appetit.
Eine Scheinschwangerschaft wird nach der Kastration nicht mehr auftreten, wobei nochmals erwähnt werden sollte, dass die Scheinträchtigkeit nur in seltenen Fällen ein krankhaftes Ausmaß erreicht und sie eine Verhaltensweise auf den natürlichen Hormonverlauf unserer Hündinnen darstellt. Die scheinschwangere Hündin sollte viel Bewegung und wenig Futter erhalten. Dazu bei Bedarf kühlende Umschläge oder Salben auf das Gesäuge, möglichst wenig Manipulation am Gesäuge und nur in schlimmen Fällen Beruhigungsmittel oder Hormone vom Tierarzt.
Die Reduktion der Brustkrebshäufigkeit scheint nur zu wirken, wenn die Hündin bis zum 2. Sexualzyklus kastriert wurde, spätere Eingriffe scheinen keinen schützenden Einfluss auszuüben.
Zu den Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen der Kastration
gehören zuerst die Operationsrisiken und –folgen.
Neben dem Narkoserisiko, kann es bei jeder Operation zu Blutungen kommen, die in seltenen Fällen auch lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können. Es kann zu Entzündungen im Operationsgebiet kommen, Verwachsungen können entstehen, auch Fistelbildungen sind möglich. Immerhin handelt es sich bei der Kastration der Hündin um einen Baucheingriff.
Eine klassische Nebenwirkung der Kastration ist die Gewichtszunahme, die bis zu 50% aller kastrierten Hündinnen betrifft.
Die veränderte Stoffwechsellage der Hündin führt zu einer besseren Futterverwertung bei gleichzeitig gesteigertem Appetit. Zusätzliche Bewegung bringt in der Regel nur wenig Erfolg; Hilfe bringt hier nur die konsequente Futterreduktion.
Da Übergewicht einen bedeutenden Risikofaktor für Stoffwechselerkrankungen wie Zuckerkrankheit und Herz-Kreislauferkrankungen darstellt, ist diese Nebenwirkung für unsere Cavaliere nicht zu vernachlässigen.
Bis zu 20% aller kastrierten Hündinnen entwickeln bis 2 Jahre nach der Operation ein Harnträufeln, das vornehmlich im Schlaf auftritt. Größere Rassen werden hiervon zwar häufiger betroffen als kleinere Rassen, der regelmäßige Verlust kleinerer Mengen Urin am Schlafplatz des Hundes ist allerdings meist belastender als 2 umschriebene Läufigkeiten im Jahr. Eine Behandlung des Harnträufelns ist mit Medikamenten aus der Gruppe der Sympathomimetika möglich, ebenso mit Östrogengaben, auch Einspritzungen von Teflon um die Harnröhe der Hündin unter Sichtkontrolle werden vorgenommen.
Werden Hunde bereits vor der Geschlechtsreife kastriert, kommt es zur Verzögerung des Epiphysenschlusses um ca. 8 Wochen und somit zu einem verspäteten Abschluss des Knochenwachstums mit möglicherweise entstehenden Deformierungen. Aus diesem Grunde wird diese frühe Kastration in Deutschland selten durchgeführt, in den USA wird meist vor der Geschlechtsreife kastriert.
Im Rahmen der früh praktizierten Kastration in den USA wurde festgestellt, dass Hunde, die zur Ausbildung zum Blindenhund vorgesehen waren, weniger lernfähig bzw. ausbildungsfähig waren als nach der Geschlechtsreife kastrierte Tiere, so dass Hunde für Rettungs- oder Arbeitsgebrauch entgegen der üblichen Praxis dort auch später kastriert werden.
Ob es bei kastrierten Hündinnen zu einer Abnahme der Knochenmasse kommt, wie dies bei kastrierten Frauen bekannt ist, bleibt noch zu klären.
Eine für unsere Cavaliere typische Folge der Kastration ist das übermäßige Wachstum der Wollhaare auf Kosten des typischen festen seidigen Grannenhaares des erwachsenen Cavaliers, welches fast jeden kastrierten Cavalier betrifft. Diese durch den Sexualhormonmangel entstehende Veränderung wird etwa 3 Monate nach erfolgter Kastration auffällig.
Grundsätzlich handelt es sich bei dieser Veränderung zwar nur um ein „Schönheitsproblem“, das Aussehen unserer Cavaliere wird aber durch diese Fellveränderung erheblich beeinträchtigt, das typische Aussehen eines Cavaliers deutlich negativ verändert.
Dabei möchte ich auch daran erinnern, dass es auch zu den im Standard definierten Zuchtzielen gehört, dass der Cavalier ein möglichst glattes, seidiges und schlichtes (gemeint ist glattes) Fell aufweist, worum sich viele Züchter seit vielen Cavaliergenerationen bemühen.
Zusammenfassend bleibt zu erwähnen, dass es für die in den Medien häufig angepriesene Kastration, so z. B. auch in Tiermagazinen, Fernsehsendungen etc., neben notwendigen unabwendbaren medizinischen Indikationen ebenfalls eine Menge nicht eindeutiger, oft von falschen Vorstellungen geprägter oder schlichtweg bequemer Gründe gibt, die durch die Kastration nicht erreicht werden können und die die möglichen Komplikationen für unsere Tiere nicht im richtigen Verhältnis abwägt.
Dr. Kathrin Lange